Artikel vom 26.08.2024
Body Positivity: XXL-Bräute zeigen neues Selbstbewusstsein!
Verheiratet!, verkündet die Instagram-Story ganz schlicht. Ricarda Lang ist unter der Haube. Wirtschaftsminister Robert Habeck, Klimaaktivistin Luisa Neubauer und weitere Promis durften bei der Hochzeitsfeier in Berlin-Kreuzberg dabeisein. Die Grünen-Chefin ist eine Braut, die ganz bewusst Body-Präsenz zeigt. Bei der Hochzeit eine gute Figur machen, Body Positivity zeigen? Das steckt dahinter ...
Ricarda Lang denkt traditionsbewusst
Wir haben's getan, verkündet ein schlichtes rotes Herz. Nein, ich wollte kein öffentliches Spektakel, bekennt Ricarda Lang. Eine standesgemäße Hochzeit musste es aber trotzdem sein. Die zauberhafte, inmitten von Wiesen gelegene Sommerfest-Location namens Oberhafen-Kantine bietet immerhin 150 Hochzeitsgästen Platz. Sogar eine Kapelle steht auf dem Areal. Lang und Gatte Florian Wilsch, früher Sprecher der Grünen Jugend Bayern, sind seid über sieben Jahren ein Paar. Das in einer Fernbeziehung pendelt, zwischen Berlin und Hannover, wo der promovierte Wilsch als Mathe-Dozent arbeitet. Unkonventionell, aber traditionsbewusst, verlobte sich das Paar im Frühjahr 2023 - die Eheringe von Wilsch Urgroßeltern am Finger. Nein, Heiraten sei nicht altmodisch, so Lang, sondern Zeichen, dass man sich treu bleiben und eine Familie gründen möchte.
Lang - ein Schwergewicht wie Helmut Kohl
Man lässt es sich schmecken, in der Oberhafen-Kantine, es gibt Bier zu Hühnerbrust und grünen Spargel. Wobei die bösen Zungen der Netz-Hater nicht verstummen wollen, die sich an dem figürlich ungleichen Brautpaar abarbeiten - Ricarda Lang übergewichtig, Florian Wilsch daneben extraschlank. Fragt sich wirklich, was Körpermaße mit Person, Charakter und Fähigkeiten zu tun haben? Weder Minister Altmaier (CDU) noch Altkanzler Helmut Kohl waren Fliegengewichte. Aber das störte damals niemanden. Ricarda Lang - 1,73 Meter groß und 120 kg schwer - legte einen kometenhaften Aufstieg hin. Jahrgang 1994, avancierte die Baden-Württembergerin zur jüngsten Parteivorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen.
XXL-Bräute: Schluss mit Kaschieren!
Lang ist bekannt dafür, sich für Body Positivity zu engagieren und konventionelle Schönheitsideale infrage zu stellen. Die Politikerin mit physischer Präsenz steht selbstbewusst zu ihrem Körper und kämpft gegen Bodyshaming. Body Positivity? Setzt auf Selbstakzeptanz und fordert gesellschaftliche Stereotypen heraus: Schluss mit Schlankheitswahn und einem Modediktat, das dicken Bräuten zu transparentem Stoff rät, damit sich die Arme nicht abzeichnen. Oder bloß die Schultern mit einem Bolerojäckchen zu bedecken, selbst wenn der Schweiß in Strömen fließt. Problemzonen überall: Sie haben keine Lust auf figurformende Unterwäsche und ein Korsett, das den Bauch plattdrückt? Wollen sich nicht zur A-Linie zwingen? Angeblich lenkt dieser Schnitt den Blick Richtung Dekolleté - und lässt die untere Körperhälfte verschwinden. Plus- Size-Brautkleider bis Größe 62 treten an, Oberschenkel, Hüfte und Po gekonnt zu verhüllen. Aber bitte ohne auftragende Schleifen und Rüschen! Einzig die Oberweite darf, ja soll zu sehen sein. Aber nicht zu üppig: Herz- und V-förmige Ausschnitte sollen die Pracht verschlanken.
Body Inclusivity zaubert Plus Size Prinzessinen
Bräute in spe, die diese Ratschläge beherzigen, haben allerdings gute Chancen, an ihrem großen Tag durch ein gequältes Lächeln statt durch selbstbewusstes Strahlen zu glänzen. Nachdem Sie ggf. ein Beratungsmartyrium durchlaufen haben, konfrontiert mit der Frage, wieviel sie noch bis zur Hochzeit abzunehmen gedenken. Zum Glück tut sich was, bei der Suche nach dem perfekten Brautkleid: Die Hochzeitsindustrie hat Body Inclusivity und Brautmode in Plus Size für sich entdeckt: Auch für Bräute mit Größe 62 muss die Prinzessinnen-Hochzeit kein Traum bleiben. Pfunde zu verstecken ist out, mehr Sichtbarkeit in - einschließlich einfühlsamer Beraterinnen, die sich in Plus-Size-Fashion auskennen.
Alles schön also? Toleranz ist keine Einbahnstraße
Ich fühle mich als dicke Braut unbehaglich, möchte vor der Hochzeit noch abnehmen? Bloß nicht, so der gute Rat eingefleischter Body-Positivity-Fans. Soll Adipositas hier glorifiziert werden? Es wirkt ein bisschen so: Nike stellt korpulente Puppen mit Bauch und feisten Oberschenkeln ins Schaufenster, Plus-Size-Models bevölkern die Laufstege und die Covers von Sports Illustrated. Irgendwie will fit, gut trainiert und extreme Leibesfülle - anders als die Kombi mit sinnlichen Dessous à la Victorias Secret - nicht zusammenpassen. Verständlich ist, dass Adipositasbetroffene Diskriminierung etwas entgegensetzen möchten. Weniger nachvollziehbar: Korpulenz zu betonen, um mit den Selbstzweifeln Dicker lukrative Geschäfte zu machen.
Ich bin perfekt, so wie ich bin?
Dick zu sein ist okay, aber perfekt ist es nicht. Längst schlägt das Pendel ideologisch aus, warnen Kritiker. Body Positivity sei intolerant: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns! So kam es für die britische Sängerin Adele, die radikal 50 kg abnahm, knüppeldick. Nach dem Shitstorm-Motto: Die ist mir jetzt zu dünn! Da fühle ich mich als beleibter Fan nicht mehr vertreten und gebe meine Tickets zurück. Unreflektiert und geschichtsvergessen verklären auch manche Kreise gern Barock und Rubensfiguren. Eine Zeit, in der sich tatsächlich nur wenige üppiges Tafeln leisten konnten. Fakt ist: Über Geschmack lässt sich nicht streiten. Aber Adipositas macht krank und verkürzt das Leben. Leugnet Body-Positivity Ursachen und Folgen von Übergewicht, entwickelt das Konzept absurde Züge.
Harvard Studie: Vorbehalte gegenüber Dicken wachsen
In Deutschland sind 60 Prozent übergewichtig, in den USA sogar 73 Prozent - Tendenz steigend. US-Experten wollen wissen, dass sich extrabreite Stühle von Standesamt bis Wartezimmer zum neuen Standard entwickeln. Interessant dabei: Während laut einer Studie der Harvard University die Vorbehalte gegenüber sexuellen Orientierungen sinken, steigen diese gegenüber Übergewichtgen. Auch verdienen übergewichtige US-Frauen bis 10 Prozent weniger als Normalgewichtige. Wie das? Schuld ist der Algorithmus der Krankenkassen: Dicke kosten Arbeitgeber einfach höhere Krankenversicherungsbeiträge! Das Image Dicker könnte besser sein, Befragte sind mit Etiketten wie faul und undiszipliniert schnell zur Hand. Das kennt auch Ricarda Lang, die seit Amtsantritt einem Dauer-Shitstorm ausgesetzt ist.
Big is beautiful! Curvy Brautmode
Derweil steigt die Auswahl an XXL-Fashion. Eine gute Sache! Brautmodengeschäfte für Curvys versprechen, Kurven perfekt in Szene zu setzen und jedes Pölsterchen zu feiern. Trendy, von romantisch-verspielt bis puristisch elegant, vom imposanten Prinzessinnenkleid bis zur Meerjungfrau. Brautmode und Body Positivity gestalten Einkaufserlebnisse, die beleibte Bräute zu gesundem Selbstbewusstsein ermuntern. Jedes Plus-Size-Hochzeitskleid ist speziell für die Curvy Braut entworfen; auch Supermodel und Body Positivity Aktivistin Ashley Graham ist unter den Designerinnen. Prioritäten haben Liebe zum Detail, schmeichelnde Passform und hochwertige Stoffe, die exzellenten Tragekomfort bieten. Aber ohne Zwang zu A-Linie und Korsage. Credo: Enganliegendes kann an Jeder schön aussehen!
Entspannt heiraten, entspanntes Outfit
Entsprechend entspannt ging es in Berlin auf der Event-Wiese an der Spree zu. Zur Trauung in schlichter, bodenlanger Robe, schlüpfte Ricarda Lang zur Party in ein weißes, kniekurzes Brautkleid, in den Händen einen Strauß aus bordeauxfarbenen Blüten. Eine Nuance, die das Sakko ihres Angetrauten aufgreift: Wilsch trägt cremefarbene Krawatte zum weißen Hemd. Unter hellbraunen Wellen leuchten die Brautlippen in intensivem Rot. So sieht keine Braut aus, der der Magen knurrt, weil sie wochenlang gehungert hat, um in ihr Traumkleid zu passen. Nein, Lang strahlt so lässig wie der Schnitt ihres bequemen Outfits - so sieht echtes Glück aus!
